Ich bin auf der stadtfernen Seite der Mulde. Hinter mir nur Wald und der Tiergarten. Ein acht Kilometer langer Rundweg führt durch ein Vogelschutz- und Überschwemmungsgebiet, das von mehreren Seitenarmen der Mulde durchzogen wird. Der Vollmond steht am Nachthimmel und lässt sein Licht in den Wellen des Flusses spiegeln. Es ist kalt.
Eine geschwungene Brücke führt hinüber in die Stadt Dessau. Sie wurde ohne Brückenpfeiler errichtet, um dem Hochwasser und der starken Strömung des Wassers trotzen zu können. Bei jedem Tritt schwingt die Konstruktion und ich muss Vertrauen haben, dass sie hält. Ein Pärchen steht in der Mitte im Schein der schwachen Beleuchtung. Ich frage mich, warum sie sich dort seit über zehn Minuten aufhalten. Aber vielleicht fragen sie sich das auch von mir.
Ich vernehme wiederholt ein helles kurzes Geräusch und spüre wie die Vibrationen zunehmen. Der Kerl springt mit Schwung in die Höhe und hämmert seine Füße auf den Beton. Sie zückt ihr Smartphone und macht ein Foto davon. Das stachelt ihn an, ein stählernes Abspannseil zu packen und seine Muskeln spielen zu lassen. Während das Springen nur ein leichtes auf und ab der Brücke verursachte, beginnt sie nun auf voller Länge um mehrere Zentimeter nach links und rechts zu schwingen. Ich fühle mich wie auf einem Schiff mit Seegang und gerate ins Schwanken. Ob die Konstruktion für solche Beanspruchung ausgelegt ist, weiß ich nicht. Mir wird mulmig und ich denke, nichts wie vorbei und runter von der Brücke. Sollen die beiden doch allein baden gehen. Das Pärchen verstummt für einen Moment als ich auf ihrer Höhe bin. Schnelleren Schrittes erreiche ich das andere Ende und verschwinde Richtung Altstadt.
Hinter dem Johannbau des Stadtschlosses ist das Sternbild des Orion zu sehen. Ich gehe durch die Überreste eines Portals, das die alte Schlossmauer erahnen lässt. Figuren schauen mich aus dem Dunkel an. Von Dessaus Altstadt ist nicht viel übrig. Plattenbauten füllen die Lücken auf. Dann die alte Marienkirche mit ihrem hübschen Türmchen. Über die Schlossstraße komme ich zu meinem Hotel.
Am nächsten Morgen führt mein Weg an der Anhaltischen Landesbücherei vorbei. Ein an die Wand geschmiertes Graffiti drängt sich in den Vordergrund:
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Ich muss schmunzeln und denke mir, Dessau, ich komme wieder!