Heute fand der Lyrikmarkt im Rahmen des 15. Poesiefestivals in Berlin statt. Der Lyrikmarkt bildete den Abschluss des gut einwöchigen Festivals, das durch viele Lesungen, Diskussionen, kleinere Konzerte und Aufführungen begleitet wurde. Thematisch wurde sich mit der aktuellen Lage in Syrien und in der Türkei auseinandergesetzt, aber auch mit dem 1. Weltkrieg, der vor genau 100 Jahren ausgebrochen war. Insgesamt fanden 49 Veranstaltungen an den neun Tagen vom 5.–13. Juni statt. Das Festival lockte laut Veranstalter (Quelle: News von literaturwerkstatt.org) knapp 8000 Besucher an und wurde durch 150 Künstlerinnen und Künstler aus 21 Ländern bereichert.
Die Anreise mit der U-Bahn zum Veranstaltungsort, der Akademie der Künste, wurde eine Station vor dem Ziel vorzeitig am S+U-Bahnhof Zoo beendet, weil es einen Noteinsatz auf der Strecke gab. Ich hätte nun eine Station mit der S-Bahn fahren können, entschied mich aber bei aufkommendem Sonnenschein zu laufen. Eine gute Wahl – denn so entdeckte ich bei meinem Weg durch den Tiergarten, dass nur ein kleines Stück hinter dem Schleusenkrug eine Sammlung von Kandelabern aus deutschen und europäischen Städten beherbergt wird. Einige Male war ich den Weg schon gegangen oder mit dem Rad gefahren, aber nie waren mir die aufgereihten Laternen unter freiem Himmel aufgefallen. Nach Angaben auf Wikipedia wurde das Gaslaternen-Freilichtmuseum Berlin 1978 eingerichtet und zuletzt in 2006 vollständig wieder hergerichtet. In der Zwischenzeit sind jedoch allerhand Glasscheiben erneut zu Bruch gegangen und überraschend stellte ich fest, dass ein zerborstener Laternen-Kopf sogar ein Vogelnest beherbergte.
Als ich an der Akademie der Künste ankam, wurden draußen auf der Bühne Gedichte von den Projektgruppen »lyrix« und »babelsprech« vorgetragen. Manch einer hatte vermutlich schon reichlich Erfahrung auf Poetry Slams gesammelt, was man anhand des betonten und langsamen Sprechens, mit tiefer Stimme und bewusst gesetzten Pausen, die auf die Pointe abzielten, erkennen konnte. Ein anderer stand hingegen aufgeregt und schlaksig auf der Bühne, unsicher in der Stimme, und trug gereimte Gedichte vor, was ihn und die Aussagen seiner Verse auf eine sympathische Art und Weise authentisch wirken ließ.
Ich nahm zunächst auf einer der hinteren Bänke vor der Bühne Platz und hörte den Vortragenden zu. Nach einer kurzen Pause wurde die Gruppe »Collective Task« aus New York angekündigt, die eine Kunstauktion durchführen sollte. Der Auktionator Rob Fitterman und Mitglied dieser Gruppe betrat die Bühne und moderierte die Auktion fröhlich und humorvoll auf Englisch an. Die Moderatorin, die ihm zur Seite stand, übersetzte für ihn ins Deutsche, wenngleich die meisten Gäste im Publikum ihn gut verstehen konnten. Es wurden unterschiedlichste Kunstwerke, von den auch zum Teil anwesenden amerikanischen Künstlern, angeboten. So gab es zahlreiche Fotografien und Lithografien, größtenteils als limitierte Stücke, ein handgeschriebenes Manuskript von über 70 Seiten, ein »book in a box« und Kometen aus farbig durchsichtigem Kunststoff, die sich zu einem richtigen Renner entwickelten und für teilweise über 50 Euro weggingen.
Nach Ablauf der Auktion, kamen erneut junge Leute auf die Bühne, die ihre Gedichte vortrugen. Es handelte sich zumeist um moderne Poesie, die entweder banale Momente des Lebens beschrieb, wie z.B. das allmorgendliche Herausquälen aus dem Bett, oder die so abgehoben und verschlüsselt war, dass sich kaum ein roter Faden darin erkennen ließ. Die Verworrenheit wurde zusätzlich durch die enorme Länge eines Gedichtes auf die Spitze getrieben, so dass nicht einmal die Vortragende selbst mehr wissen konnte, was sie damit aussagen wollte.
Ein alter Mann mit kurzem grauen Haar, der zuvor in einer vorderen Reihe gesessen hatte, quittierte dies auf seine Art, stand mürrisch brummend auf und verließ kopfschüttelnd die Veranstaltung: »Das hält man nun für Literatur.«
Kurz darauf wand auch ich mich ab und begab mich zu den Ständen des Lyrikmarktes.
Aufgrund des wechselhaften Wetters hatte man die Bücherstände im Gebäude der Akademie der Künste aufgebaut. Beim Betreten des Foyers fiel mir auf, dass es nur schummriges Licht gab, jedoch viel Raum für Menschen und Begegnungen. Die ersten Stände, die ich besuchte, hatten eine eigene Beleuchtung, weiter hinten im offenen, aber verwinkelten Raum wurde das natürliche, einfallende Licht der Fensterscheiben genutzt. Stück für Stück gingen die interessierten Leser an den Ausstellerreihen entlang und griffen mal hier und mal dort zu einem Buch, stöberten darin und kamen ins Gespräch. Der erste Stand, der mir ins Auge fiel, hatte sich einzig und allein auf Haikus spezialisiert. Haikus sind japanische Gedichte, die einer speziellen Form genügen. Sie sollten immer dreizeilig sein und erst aus fünf, dann sieben und schlussendlich noch ein Mal fünf Silben bestehen. Ich blätterte durch eine Zeitschrift, den »Maulkorb« der Deutschen Haiku-Gesellschaft und etliche Büchlein, die vollständig mit Haikus gefüllt waren. Mich faszinierte, dass man allein mit diesen Kurzgedichten ganze Bücher füllen könnte und es für diese Gedichtform sogar einen Verein gab, der sich sehr für die Verbreitung und Wahrnehmung von Haikus einsetzt.
Ich schlenderte von Stand zu Stand, war neugierig auf die Poesie, die anderen Köpfen entsprungen war und in gedruckter Form vor mir lag. Ich schlug beliebig Bücher und Hefte auf und las einige Zeilen darin. Meistens handelte es sich um freie, ungereimte Lyrik, was ich durchaus erwartet hatte, mich aber dennoch ein wenig enttäuschte. Nur zu gern hätte ich einen Meister der klassischen, gereimten Lyrik gefunden, der sich mit aktuellem Geschehen, der Natur und der Liebe in heutigen Zeiten auseinandersetzt. So blieb mir nur die Möglichkeit, an einem der wenigen Trödelmarktstände mein Glück zu versuchen. Auch hier gab es reges Interesse an Klassikern von Goethe, Heine und Co zu günstigen Preisen. Nur die Auswahl war nicht sehr groß, so dass ich mit leeren Händen ging.
Im Innenhof der Akademie der Künste, im Schatten einer mächtigen Buche, wurden Lesungen im Buchengarten gehalten. Ich blickte jedoch nur durch die großräumige Fensterfront und entschied mich, noch ein Mal zur Bühne vor dem Eingang zu gehen, weil es dort Musik geben sollte.
Sphärische Klänge mit Kontrabass und Oboe erklangen und bildeten die Untermalung für deutsche Lyrik von Friederike Scheffler. Ich stand seitlich des Eingangs im Freien, während ein Spatz auf dem »K« der Künste im Sonnenlicht saß und fröhlich tschilpte. Auf den Treppenstufen saß ein Mann, der in seinem neu erworbenen Buch las. Wenig später wurde mit Gitarre zur Musik gespielt und es gab englischen Gesang dazu. Was anfangs eine vielversprechende Mischung war, entwickelte sich jedoch allmählich zu einem melancholischem Katzenjammer, so dass ich mich nach gut zwei Stunden mit vielen schönen Eindrücken und neuen Ideen auf den Heimweg machte.
Markus Neuschäfer sagt:
Bei den Lyrikzeitschriften habe ich mich vorsichtig erkundigt, ob die Bände demnächst auch als ebook erscheinen, dann kann ich die Bände besser unterwegs lesen. Distributoren gibt es ja genug, um so eine Ausgabe mit ca. einem halben Tag Mehraufwand zu vertreiben. Digitaler Vertrieb ist bei ebooks leider die große Ausnahme, stattdessen: „Dieses Heft können Sie in einigen Leipziger Buchhandlungen kaufen“, oder „Sie können das Heft ja per Post bestellen“. Liebe Lyrikverleger, ich möchte Eure Hefte aber nicht per Post bestellen, mich interessiert kein Papier, ich möchte Gedichte lesen. So avantgardistisch die Texte, so konservativ der Vertrieb. Wann wird sich das ändern?
21. Juli 2014 — 15:54