Ein Mann lebte ständig in Sorge,
Getrennt von der Schwester in Zorge,
Die Mauer dazwischen
Ließ ihn nicht entwischen,
»Und wenn ich ’ne Leiter mir borge?«
David Damm, 2017
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Als ich von der Aktion »Lichtgrenze« zum 25-jährigen Jubilium des Mauerfalls erfuhr, wusste ich sofort, dass ich dabei sein wollte. Zu Fuß wollte ich die gesamte, mit Luftballons beleuchtete Strecke von gut 15 Kilometern im Innenstadtbereich ablaufen. Um 13 Uhr gestern startete ich am S-Bahnhof Bornholmer Straße. Bei bestem Herbstwetter mit kühlen Temperaturen und blauem Himmel wartete ich oben auf der Bösen Brücke am S-Bahn-Ausgang auf weitere, mir bis dahin unbekannte Mitwanderer. Trotz der erneut streikenden Bahn waren viele Menschen unterwegs, die sich dieses Ereignis nicht entgehen lassen wollten. Ich vertrieb mir die Wartezeit mit Fotografieren, als ich im Augenwinkel beobachtete, wie ein Mann einen Buchstaben unter die Beschriftung der S-Bahn-Station Bornholmer Straße hielt. Mit lang ausgestrecktem Arm drückte er ein metallenes, angerostetes, kleines »a« nach oben unter den Namen, der in gleicher Schrift in schwarz am S-Bahn-Eingang prangte. Mit Stolz erzählte er, dass er diesen Buchstaben an jenem geschichtsträchtigen Tag zur Erinnerung mitgenommen hatte. Die gesamte Station war damals heruntergekommen, die Scheiben in den Türen zerborsten und der Putz bröckelte von den Wänden. Die Menschen um mich herum, die diese Szene ebenfalls beobachtet hatten, standen mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht da. Niemand sagte etwas. Doch die Augen sprachen von Bewunderung. Behutsam nahm der Mann das »a«, das den Anfang einer neuen Zeit bedeutet hatte, wickelte es in Luftpolsterfolie ein und verstaute es in seinem Rucksack.