Eine große weiße Plastiktüte mit blauer Aufschrift steht auf dem Sitz neben dem Mann in der S-Bahn. Die Beine hat er zusammen gezogen und die Hände dazwischen geklemmt.
An seinem linken Fuß steht eine Bierflasche auf dem Boden. Er greift nach ihr, nimmt den letzten Schluck und kramt dann in der Tüte. Mit gerötetem Gesicht, einer Knollnase und dünnem Haar erinnert er an Harald Juhnke. Er tauscht die Flasche gegen eine volle aus. Die Verschlusskappe zischt und er kostet von ihrem Inhalt.
Auf der Tüte steht: »Achtung! Patienten-Eigentum!«
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Ein Mann mit riesigen dicken Brillengläsern und fettig nach vorn über die Glatze gestrigelten Haaren wundert sich beim Einsteigen in die S-Bahn mit einem unaufhörlichen Mantra:
Das ist ja wie ne Ziehharmonika. Das ist ja wie ne Ziehharmonika.
Die Nacht nach dem längsten Tag des Jahres bricht kurz nach zehn in Berlin-Tempelhof an. Der Mond steht tief und voll am fast dunklen Himmel über dem Feld. Schleierwolken trüben den Blick.
Ein Mann mit einem Bauch so groß und rund wie der Vollmond sitzt auf einem Vierersitz in der Ringbahn. Er grummelt und fährt sich mit der Hand über die nahezu vollendete Glatze. Die verbliebenen grauen Haare an den Seiten hat er wachsen lassen und hinter dem Nacken zu einem schmierigen Zopf gebunden. Er schaut auf seinen Bauch, streicht darüber und spricht in tiefem Ton zu ihm. Ein Blick aus dem Fenster, nur einen kurzen Moment, dann winkt er ab. Er brabbelt vor sich hin und winkt erneut kopfschüttelnd.
Er kippt seinen Oberkörper vorne über und fasst sich zunächst an die linke, dann an die rechte Ferse, als wolle er prüfen, ob seine Füße in der Zwischenzeit nicht weggelaufen seien. Er sieht auf die Uhr, schüttelt den Kopf und murmelt etwas von halb elf. Dann erhebt er sich, als wolle er aussteigen. Er greift seine riesige Plastiktasche und wankt durch den Wagen. Doch statt zur Tür zu gehen, entdeckt er zwei Sitzreihen entfernt eine einsam auf dem Boden stehende Papiertüte von Primark. Er setzt sich neben die Tüte, legt seine Tasche ab und hebt die Tüte auf seinen Schoß. Mit den klobigen Händen hält er die zarten Henkel weit auseinander und inspiziert das Innere. Dann stellt er sie vor sich auf den Boden zurück. Wenig später greift er wieder zu. Er schaut hinein, die Tüte raschelt. Er entscheidet sich, sie zwischen den Beinen abzustellen und festzuhalten. Ab und zu brabbelt er, sieht sich um und blickt auf die Uhr. Es ist 10 vor halb 11. Haltestelle Insbrucker Platz steigt er mit Tasche und Tüte aus.
Eng jepresst wie Ölsardinen,
Dufte Luft mit Fischjestank,
Würdste eene später nehmen,
Hättst nen Sitz uff eener Bank.
David Damm, 2016
Ich fahre mit der S1 nach Süden. Am S-Bahnhof Schöneberg steigen zwei junge Männer mit Instrumenten zu. Sie unterhalten sich, es klingt sehr bayrisch. Die beiden Musiker werden vermutlich als Teil eines großen Orchesters in den nächsten Tagen ein klassisches Konzert in Berlin geben. Denn der eine trägt einen großen Instrumentenkasten für ein Cello auf dem Rücken, der zweite einen kleinen für eine Geige.
Sie sehen sich nach einem freien Platz um und finden ihn auf einem Dreiersitz parallel zur Fahrtrichtung. Während der erstere noch mit seinem Cello hantiert und dabei an die obere Haltestange stößt, sitzt der zweite längst mit dem zwischen die Beine geklemmten Geigenkasten.
Die S-Bahn fährt in den Bahnhof Friedenau ein. Beide schauen sich irritiert um und stellen fest, dass sie hier schon wieder raus müssen. Die Instrumente werden geschultert und das Reisegepäck nebenher gezogen.
Erst als die beiden draußen auf dem Bahnsteig stehen, fällt mir auf, dass der mit dem kleinen Geigenkasten einen kleinen Rollkoffer mit sich führt, hingegen der andere mit dem dreimal so großen Cellokasten auch eine dreimal so große Reisetasche auf Rollen zieht.
Ich werfe einen letzten Blick auf die Männer, betrachte deren Statur, die sich nicht wesentlich in Größe und Form voneinander unterscheidet und stelle mir die Frage: »Was hat der eine in der riesigen Tasche, was der andere nicht hat?«